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Wenn du nichts zu sagen hast, sing es

Alexander Rudan
3 Minuten

Es war Ende der 1960er Jahre. Die 1986 von Wells Fargo übernommene Crocker National Bank mit Hauptsitz in San Francisco stand damals vor dem Problem, dass ihr der überalterte Kundenstock langsam, aber sicher wegzusterben drohte. Neue Kunden mussten her, am besten die für Marketer zu dieser Zeit eher neue Zielgruppe der 20 bis 30 Jährigen.
Um diese anzusprechen, engagierte man die kalifornische Werbelegende Hal Riney. Riney analysierte die Aufgabe und konstatierte, dass die Crocker National Bank selbst eigentlich nichts zu sagen hätte. Deshalb schlug er dem Präsidenten der Bank vor, Bands zu beauftragen, um einen Song über die Zielgruppe zu schreiben. Über ihr Leben. Ihre Wünsche, Ängste und Sorgen. Wie sich dieser Song anhören würde, wisse er nicht, denn er sei ja kein Songschreiber und wie der TV-Spot dann aussähe, könne er natürlich auch nicht sagen, weil dazu müsse er ja den Song kennen. Aber das wäre die Idee und die Empfehlung. Trotz der nicht unverständlichen Kritik, dass das wohl alles ein bisschen vage sei, vertrauten die Verantwortlichen der Crocker National Riney – schließlich sei er der Fachmann und wisse wohl, was er tue (sic!). Und so verpflichteten Riney und sein Agenturteam einen Komponisten und einen Songtexter und für die Interpretation fand man das Pop-Duo The Carpenters. „You’ve only just begun“ wurde zum „Soundtrack“ des dazu produzierten TV-Spots, der Bilder einer Hochzeit zeigte, mit romantischer Kapelle, jungem Brautpaar, gerührten Verwandten und allem, was dazu gehört. Der Spot endete damit, dass die Kamera die auf den Weg in die Flitterwochen davonfahrenden Jungvermählten begleitet, dazu wurde die Tagline „You’ve got a long way to go. We’d like to help you get there.“ sowie der Name der Bank eingesupert. Cut. Ende. And the rest is history, wie es so schön heißt.
Die angesprochenen jungen Menschen strömten scharenweise in die Crocker National Bank und der Song schaffte es sogar bis auf Nummer 2 der US Billboard-Charts, gewann zwei Grammys und wird bis heute in der Liste der Top 500 Popsongs aller Zeiten geführt.
Werbegeschichte schrieb der Spot aber vor allem, weil er der erste Spot überhaupt war, in dem eigentlich nichts gesagt wurde, wie Hal Riney höchstselbst Jahrzehnte später in einem Interview amüsiert eingestand.
„If you’ve got nothing to say, sing it!“ lautet die weltweite Devise seit dem Crocker Bank-Commercial. Und dieser scheint man vor allem im österreichischen Werbefernsehen mehr denn je zu folgen. Banken, Versicherungen, Supermarkt-Ketten, Möbelhäuser, Transportwesen, Automobil-Industrie: Sieht man sich einen Spotblock im heimischen Fernsehen an, dann trällert es einem entgegen, dass man glaubt, Eberhard Forcher macht wieder mal eine Evergreen Bar unsicher. Queen, Billy Joel, Patrick Hernandez, Black Sabbath, Louis Armstrong, Dion und was weiß ich noch. Kaum ein Klassiker, der da nicht für irgendetwas herhalten muss. Dazu werden einem frei Haus mehr oder minder austauschbare Vignettenbilder serviert, selbstverständlich garniert mit den obligatorischen Rothaarigen, weil – seht her! – beim Casting trauen wir uns aber echt was!
Die Botschaften dieser zum Teil gar nicht unaufwendig produzierten Spots sind dabei so nicht vorhanden bis flach, dass das „Du hast noch einen weiten Weg vor dir. Wir helfen dir anzukommen.” der Crocker National geradezu philosophischen Tiefgang aufweist.
Warum ist das so? Weil es nichts zu sagen gibt? Oder man nichts sagen will? Sich aus Angst, Ecken und Kanten zu zeigen und damit Angriffsfläche zu bieten, nicht traut? Warum auch immer. Genauso, wie man nicht nicht kommunizieren kann, erzählt man auch eine Story, wenn man derartiges Non-Storytelling betreibt. Und sei es auch noch so schön gesungen, meaningful ist anders.

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